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Personal im Tourismus: Was kann die Campingbranche von der Hotellerie lernen?

Mittendrin im Thema Personalmangel in Hotellerie, Gastronomie und Tourismus. Ein persönlicher Rückblick und Ausblick auf die Chancen für Arbeitgeber und Arbeitnehmer

Meine letzten eineinhalb Jahre im Wechsel der Positionen 

Nach der Mitarbeit an der Gründung eines Campingbetriebs, für den ich in der Geschäftsführung tätig war und somit die Rolle der Arbeitgeberin inne hatte, verschlug es mich auf turbulente Art und Weise in die Hotellerie an die Nordseeküste. Was mich zu diesem Schritt veranlasst hat, erzähle ich Euch konkret im  Blogartikel zum Thema Geschäftspartnerschaften und gemeinsame Gründungsprojekte . 

 

Doch in jeder Krise steckt auch eine Chance. Meine persönliche Krise und die Personalkrise in der Hotellerie war meine Chance, als Quereinsteigerin einen Job zu bekommen, den man vor Jahren eigentlich nur nach einer 3-jährigen Ausbildung oder anderen praktischen Referenzen bekommen hätte. Im Dezember 2021 trat ich meine neue Stelle als Mitarbeiterin für Empfang und Reservierung in einem noch relativ neuem inhabergeführten 4-Sterne Ferienhotel in Büsum an. Ich lernte und lerne immer noch Hotellerie im Schnelldurchgang und kann sehr wertvolle Erfahrungen machen. Ich denke, dass die Hotellerie der Campingbranche oft in vielen Belangen voraus ist, insbesondere viele was Organisation, Servicequalität und Digitalisierung angeht. Auch wenn ich  zu denjenigen gehörte, die lieber 1.000 Sterne am Himmel als 5 im Hotel bevorzugen, erachte ich die Hotellerie als eine fantastische Lehrmeisterin. Des Weiteren ist die Dichte der Hotels und anderen touristischen Betriebe hier in Büsum und in St. Peter Ording sehr hoch. Tourismus hat hier als eine der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren eine entsprechende Lobby und politische Unterstützung.   

 

Personal- und Wohnungsmarkt in touristisch geprägten Regionen

In vielen touristischen Orten dominieren Ferienimmobilien, Zweitwohnsitze und Wochenendhäuser. Bezahlbarer Wohnraum für Menschen aus dem Niedriglohnsektor ist knapp. Weiter außerhalb mag es bezahlten Wohnraum geben, was jedoch das Pendeln zwischen Wohn- und Arbeitsort bedingt. Die meisten touristisch ansprechenden Orte ziehen die Gäste durch ihre schöne Lage an und liegen demnach in einem ländlichen, dünn besiedeltem Raum mit einer mäßigen bis schlechten ÖPNV-Anbindung. Insbesondere zu den Tagesrandzeiten am ganz frühen Morgen oder späten Abend fahren vielerorts keine Busse oder Bahnen. Die Tourismusbranche, insbesondere die Hotellerie und Gastronomie ist aber nun mal stark geprägt von Schichtarbeit. Unsere Dienste beginnen, bevor die ersten Gäste aufstehen und enden erst, wenn die letzten Gäste im Bett sind, Restaurant, Küche und Bar sauber sind, und der Tagesabschluss gemacht ist. Demnach ist für viele ein Auto notwendig, um ihren Weg zur Arbeitsstelle antreten zu können. Unterhalt und Finanzierung eines Autos sind enorme Kostenfaktoren und für einige Beschäftigte finanziell nicht machbar. Dies ist ein riesiges Problem, für welches es so schnell auch keine Lösung gibt.

 

Der ländliche, dünn besiedelte und durch Tourismus geprägte Raum verfügt nur über einen überschaubaren Personalmarkt. Vielerorts ist die Akquirierung von überregionalem Personal notwendig. Hier an der Westküste haben mittlerweile fast alle Hoteliers Personalunterkünfte. „Hätten wir keine Personalunterkünfte, könnten wir den Laden dichtmachen!“ lautet hier der einheitliche O-Ton. Die Arbeitgeber legen sich momentan in Sachen Personalgewinnung und -bindung so mächtig ins Zeug, wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Die Folgen der Abwanderung der Personals durch Corona in andere Branchen und das schlechte Image der Gastgeber-Branche, insbesondere die schlechte Bezahlung sowie Schicht- und Wochenendarbeit setzen dem Personalmarkt sehr zu. Dieses Problem hat einige dazu veranlasst zu handeln. Personalvermittlungsagenturen für Hotellerie und Gastronomie hatten Hochkonjunktur oder wurden neu gegründet .

 

Auch ich bin durch eine Vermittlungsagentur an meinen Job gekommen. In einem sehr netten Gespräch haben wir meine Wünsche und mögliche Tätigkeitsbereiche erörtert. Ich wollte die Chance nutzen, mir meinen Traum zu erfüllen, am Meer zu leben und meinen Quereinstieg in die Tourismusbranche fortzusetzen. Da ich zu der damaligen Zeit in Hamburg wohnhaft war, war es mir wichtig, dass ich an meinem Arbeitsort vorerst eine Unterkunft bekommen kann. Hätte ich direkt umziehen müssen, hätte ich den Job nicht angenommen. Vielen meiner Kolleg*innen erging es ähnlich und sie hätten ihren Weg in den Betrieb ohne eine vorläufige Personalunterkunft nicht angetreten.

 

Was bedeutet das für die Campingbranche auf der Arbeitgeberseite und für ambitionierte Gründer, Quereinsteiger und so manch andere, die auf der Suche nach Erfahrungen in der Tourismusbranche sind auf der anderen Seite?

 

 

Wie sieht es auf den Campingplätzen auf der Arbeitgeberseite aus? Ist überregionales Personal ein Thema? Wie und wo erreicht man gutes Personal?

Auch an dieser Stelle habe ich festgestellt, dass die Hotellerie der Campingbranche weit voraus ist. Dies hat meist organisatorische Gründe: Zum einen ist ein Hotel um vieles personalintensiver als ein Campingplatz und somit muss ein Hotelier zwangsläufig viel mehr Ressourcen in das Personalmanagement stecken als ein Campingplatzbetreiber. Mittelgroße oder große Hotels haben eine eigene Personalabteilung mit qualifizierten Kräften und dementsprechend ein hoch professionelles Personalmanagement. Warum das nicht mal zum Anlass nehmen, um von den großen Profis abzuschauen?  

 

Überregionales Personal und Unterkünfte

Je nach Standort des Campingbetriebs und ÖPNV-Anbindung erachte ich die Überlegung, Personalunterkünfte bereit zu stellen, als sehr wichtig. Die meisten Campingplätze befinden sich in einer schönen Gegend, die eine hohe Attraktivität ausübt. Die Aussicht, dort zu arbeiten und Freizeit zu verbringen, kann vor allem überregionales Personal anziehen. Egal, ob Ferienjobber, Unterstützungskräfte für das Wochenende oder potenzielle Mitarbeiter, die ihr Leben ganz neu gestalten wollen...Alle, die nicht in der Nähe des Betriebs wohnen, müssen irgendwo unterkommen, wenn sie die Attraktivität der Umgebung genießen wollen. "Spaß an der Arbeit in einer tollen Umgebung" sind die Motive, die bei Jobs in der  Gastgeber-Branche ziehen und die Menschen, die nicht in einer so schönen Landschaft leben, anziehen. 

 

Sich Unterstützer und Netzwerke gönnen  

Die relativ neuen Agenturen, die Personal für Hotellerie und Gastronomie vermitteln, sind mit ihren Insiderinformationen eine gute Informationsquelle für die momentane Situation auf dem Personalmarkt der Branche und verfügen über viele Kontakte und Netzwerke. Ich denke, dass es durchaus ratsam ist, sich auch mal an die zu wenden und sich bei der Suche nach Personal unterstützen zu lassen. Wie so oft, scheint die Hotellerie hier wieder der Campingbranche weit voraus zu sein. Schaut einfach mal, was passiert, wenn Ihr bei Google „Personalvermittlung Hotellerie & Gastronomie“ eingebt und  was passiert, wenn Ihr „Personalvermittlung Camping“ eingebt. Ein ernüchterndes Ergebnis für die Campingbranche und somit eine echte Marktlücke und eventuelle Geschäftsidee ;  ). 

 

Zielgruppen und Motive des Personalmarktes durchdenken

Ich habe hier an der Nordsee viele Menschen getroffen, die ihr altes Leben hinter sich gelassen haben und einen Neuanfang gewagt haben. Im Team haben wir schon gewitzelt, ob ein turbulenter Lebenswandel zu den Einstellungsvoraussetzungen gehört. Ich habe festgestellt, dass viele Menschen das Bedürfnis haben, herunterzufahren, zu reduzieren und sich ganz bewusst von Status, Besitz und Prestige trennen. Diese Personengruppe mit allerhand Berufs- und Lebenserfahrung, die eher nach einem Sinn und Lebensqualität als nach augenscheinlichem Erfolg und materiellem Wohlstand strebt, erachte ich als sehr wertvoll. Ich würde mir überlegen, wie, wo und womit ich diese Zielgruppe in meiner Personalgewinnungsstrategie ansprechen kann. Denn sie scheint immer größer zu werden. 

Was bewegt die Arbeitnehmer -- oder auch nicht? Eine Fülle an Chancen für Erfahrungen und Neuanfänge trifft auf schlechtes Image

Für Menschen, die über einen beruflichen Neuanfang mit Wohnortwechsel nachdenken oder Quereinsteiger, die Erfahrungen im Tourismus sammeln und Referenzen generieren möchten, stehen die Chancen so gut, wie vermutlich noch nie. Karriere- und Stellenportale sind voll mit entsprechenden Stellen. Vermittlungsagenturen und Headhunter freuen sich über potenzielle Kandidaten und Bewerber. Wo auch immer die endgültige berufliche Reise hingeht: Referenzen aus einer Beschäftigung in der Hotellerie, Parahotellerie wie einem Camping- oder anderem Ferienbetrieb und Gastronomie machen sich im Lebenslauf sehr gut. Es ist der zertifizierte Beweis für die Eigenschaften Flexibilität, Stressresistenz, Kunden- und Serviceorientierung. Auch wenn man in diesen Jobs nicht viel verdienen kann, kann man neben Erfahrungen und Referenzen noch etwas ganz Besonderes gewinnen: Dort leben und arbeiten, wo andere Urlaub machen und dafür viel Geld bezahlen. Ich muss nicht mehr bis zum nächsten Urlaub warten, um am Meer zu sein, sondern lebe JETZT am Meer. Ich kann die schönsten Ecken der Region jenseits des Touri-Rummels genießen, da ich dann frei habe, wenn es ruhig ist. Natürlich hat die Branche auch viele Nachteile und das schlechte Image kommt nicht von irgendwoher. "Harte Arbeit, karger Lohn und dann schuften, wenn alle frei haben -- oh Gott, Du Arme!" bekomme ich oft von den Leuten zu hören, die selbst mit ihrem 9 -5-Job unzufrieden sind und mich gleichzeitig beneiden, wenn ich mal eben vor dem Spätdienst surfen gehe oder Fotos von spektakulären Sonnenuntergängen über dem Watt poste.  

 

 

In diesem Sinne: Wo Licht ist, ist auch Schatten. Wo Krisen sind, sind auch Chancen. Lasst uns was draus machen!

Eure Antje 

 

 

P.s.: Aus Gründen der Schreibökonomie  wähle ich für die Beiträge hinsichtlich der Aufführung der Geschlechter von Personen die Form, die am wenigsten Zeichen beinhaltet.             

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